01.06.2017 | Hintergrund

Neobiota: Wie neue Arten Ökosysteme verändern

Wasserhyazinthe
Grundschule, Sekundarstufe

Die Verbreitungsgebiete von Tier- und Pflanzenarten verändern sich ständig. Doch auch der Mensch beeinflusst die Zusammensetzung der Arten, indem er – beabsicht oder unbeabsichtigt – neue Arten in Ökosysteme einbringt. Manche haben negative Auswirkungen auf heimische Arten und werden als "invasiv" bezeichnet. Wie sollte man mit ihnen umgehen?

Seit August 2016 gelten 37 Tier- und Pflanzenarten in der Europäischen Union als unerwünscht, die aus Gebieten außerhalb Europas stammen. Weil sie einheimische Arten verdrängen und so die europäische Artenvielfalt bedrohen, will die Europäische Kommission verhindern, dass sie sich in Europa etablieren oder noch weiter ausbreiten.

Tier- und Pflanzenarten, die sich außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes ansiedeln, sorgen immer wieder für Aufmerksamkeit und Medienberichte. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Arten, vom Waschbären bis hin zur Asiatischen Tigermücke. Oft finden sich in Berichten Formulierungen, die Gefahren betonen, zum Beispiel "Kampf gegen Invasoren"  oder "massenhafte Ausbreitung". Auch das Bundesamt für Naturschutz wertet das Einbringen von Arten in Regionen außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes als eine der wichtigsten Gefahren für die biologische Vielfalt.

Was sind "invasive Arten"?

Als gebietsfremd werden Arten bezeichnet, die durch den Einfluss des Menschen in ein neues Verbreitungsgebiet gelangt sind. Arten, die von Natur aus in einem bestimmten Gebiet vorkommen, werden als einheimisch bezeichnet beziehungsweise als indigen oder autochthon.

Als invasiv werden gebietsfremde Arten aus Sicht des Naturschutzes dann bezeichnet, wenn sie in ihrer neuen Umgebung negative Auswirkungen auf andere Arten oder Biotope haben. Die Regelungen der Europäischen Union beziehen sich ausdrücklich nur auf invasive gebietsfremde Arten, denn die meisten gebietsfremden Arten stellen kein Naturschutzproblem dar.

Teilweise wird der Begriff "invasiv" wie zum Beispiel in der Biologie im Unterschied zur Sicht des Naturschutzes nur zur Beschreibung von schnellen Ausbreitungsvorgängen ohne direkten Bezug zu negativen Auswirkungen verwendet. Durch diesen unterschiedlichen Gebrauch desselben Begriffs kann es schnell zu Missverständnissen kommen, wenn eine gebietsfremde Art als invasiv bezeichnet wird, ohne die genauen Umstände zu benennen. Im Naturschutz findet zur Abgrenzung von "invasiv" für die Beschreibung einer schnellen Ausbreitung in der Regel der Begriff "expansiv" Verwendung.

Invasive Arten können auf verschiedene Weise zu Problemen im Naturschutz führen. So können sie zum Beispiel zu Konkurrenten einheimischer Arten werden und diese verdrängen, da sie wie diese Lebensraum und Ressourcen beanspruchen. Sie können auch Krankheiten übertragen, für die einheimische Arten oftmals keine Gegenwehr haben, oder den Genpool der einheimischen Arten verändern, indem sie sich mit ihnen kreuzen.

Darüber hinaus können invasive Arten wirtschaftliche Probleme verursachen. Dazu zählen zum Beispiel Schäden, die gebietsfremde Schädlinge an Nutzpflanzen verursachen. Auch der Aufwand zur Eindämmung gebietsfremder Arten verursacht Kosten.

Außerdem können sie ein Problem für die menschliche Gesundheit darstellen. So können Berührungen des aus dem Kaukasus stammenden Riesenbärenklaus in Verbindung mit Tageslicht bei Menschen zu schmerzhaften Quaddeln und Blasen führen. Besonders problematisch ist, wenn Kinder die kräftigen, hohlen Stängel beim Spielen etwa als Blas- oder Fernrohr benutzen.

Die Geschichte der "Artenwanderungen"

Die Verbreitungsgebiete von Tier- und Pflanzenarten verändern sich ständig. Auch auf natürliche Weise können Arten neue Gebiete besiedeln. Dies geschieht in der Regel langfristig beziehungsweise Schritt für Schritt.

Die anthropogene Ausbreitung – das bedeutet: die von Menschen verursachte Ausbreitung – überwindet jedoch natürliche Ausbreitungsschranken sowie weite Entfernungen innerhalb kürzester Zeit. Die Hälfte der in Deutschland in freier Natur etablierten gebietsfremden Pflanzenarten wurde absichtlich eingeführt. Etwa 30 Prozent gelangten als Zierpflanzen nach Deutschland, etwa 20 Prozent als Nutzpflanzen. Einige gebietsfremde Arten spielen heute eine wichtige Rolle für unsere Ernährung: Die bekanntesten sind Kartoffeln, Mais und Tomaten. Diese Arten werden auf landwirtschaftlichen Flächen oder in Gärten angebaut. Verwilderte Vorkommen in freier Natur sind nicht bekannt.

Die Menschen beeinflussen schon seit langer Zeit die Zusammensetzung der Arten in ihrer Umgebung. Seit Beginn des Ackerbaus in der Jungsteinzeit haben Menschen in Mitteleuropa gebietsfremde Arten in neue Umgebungen gebracht. Allerdings können sich nur wenige Arten in ihrer neuen Umgebung dauerhaft etablieren. Meist gelingt das nur Arten, die aus Regionen mit ähnlichen Klimabedingungen stammen.

Der Transport durch den Menschen geschieht teilweise absichtlich, teilweise unabsichtlich. Absichtlich werden zum Beispiel Nutzpflanzen in neue Regionen eingeführt und dort angebaut. Teilweise werden sie dann auch absichtlich in die freie Natur eingebracht oder sie verwildern spontan. Unabsichtlich gelangen Arten zum Beispiel mit der Fracht von Lkw und Flugzeugen oder im Ballastwasser von Schiffen in neue Regionen. In diesem Fall wird vom "Einschleppen" der Art gesprochen. 

Das Einbringen und Einschleppen von Arten in ein neues Ökosystem hängt demnach eng mit Handel und Verkehr zusammen. Daher verwenden Fachleute das Jahr der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus zur Klassifizierung von eingeführten Arten. So werden Arten, die vor 1492 in ein neues Verbreitungsgebiet gelangt sind, als Archäobiota bezeichnet. Nach 1492 eingeführte Arten werden Neobiota genannt. Dabei finden zur Unterscheidung der drei Hauptgruppen von Arten (Tiere, Pflanzen, Pilze) folgende Begriffe häufig Anwendung: Archäo-/Neozoen, Archäo-/Neophyten, Archäo-/Neomyceten.

Das Bundesamt für Naturschutz hat eine Übersicht zur Unterscheidung der Begriffe für den Artenbestand erstellt (Link zur Übersicht im PDF-Format):

Quelle: Bundesamt für Naturschutz, Link zur Übersicht im PDF-Format

Wie sich gebietsfremde Arten etablieren

Die meisten gebietsfremden Wirbeltiere wurden absichtlich in Deutschland ausgebracht, unter anderem für Fischerei und Jagd. Die meisten wirbellosen gebietsfremden Tiere wie Insekten oder Muscheln gelangten unbeabsichtigt in ihre neue Umgebung, zum Beispiel in Blumentöpfen oder im Ballastwasser von Schiffen.

Von 1.000 gebietsfremden Arten können sich Schätzungen zufolge nur zehn Prozent dauerhaft etablieren. Wiederum nur zehn Prozent dieser Arten haben unerwünschte Auswirkungen und gelten demnach als invasive Arten. Manche gebietsfremden Arten bringen allerdings Eigenschaften mit, die ihnen einen Vorteil vor der heimischen Konkurrenz verschaffen können. Dazu gehören zum Beispiel eine schnelle Reproduktion, eine starke Wuchskraft oder die Fähigkeit, sich über eine große Entfernung zu verbreiten.

Welche Arten sich in welchen neuen Gebieten ausbreiten und dort invasiv werden können, lässt sich jedoch bisher nicht sicher voraussagen.

Welche Probleme verursachen gebietsfremde Arten?

Die meisten gebietsfremden Arten stellen aus der Sicht des Naturschutzes kein Problem dar. Manche werden sogar als "Bereicherung" empfunden; es handelt sich dabei vor allem um gebietsfremde Ackerwildkräuter, die vor Hunderten von Jahren eingebracht wurden und heute Zeugen alter bäuerlicher Kultur sind. Dies gilt zumindest für Mitteleuropa. Denn die Region ist ein geografischer Durchgangsraum, der bereits seit Langem durch Menschen genutzt und bewirtschaftet wird.

In isolierten Gebieten – zum Beispiel auf Inseln – stellen invasive Arten eine größere Gefahr für die Artenvielfalt dar als in Mitteleuropa. Denn dort sind die Arten besonders stark aufeinander eingespielt und können demnach leicht in ihrem Gleichgewicht gestört werden. Auch gibt es aufgrund der räumlichen Restriktionen von Inseln oft nur wenige oder gar keine Rückzugsmöglichkeiten für die einheimischen Arten, die zudem oftmals nur auf einer einzigen Insel vorkommen. Dies zeigt sich zum Beispiel auf Hawaii, wo die Biomasse der gebietsfremden Pflanzen bereits die der einheimischen übersteigt. Schon zehn Prozent der einheimischen Arten sind durch die neuen Arten verdrängt worden und dort ausgestorben.

In Deutschland kommen circa 1.000 gebietsfremde Pflanzen vor, von denen sich 400 etabliert haben. 40 dieser Arten bezeichnet das Bundesamt für Naturschutz als invasiv. Es kommen 1.100 gebietsfremde Tierarten vor, von denen circa 260 Arten als "etabliert" gelten.

Das Risiko invasiver Arten wird wegen des Klimawandels jedoch zunehmen. Denn die Erwärmung des Klimas ermöglicht eine verstärkte Ausbreitung gebietsfremder Arten, insbesondere der vielen wärmeliebenden Zierpflanzen aus Gärten und Stadtgrün.

Weltweit gelten invasive Arten als zweitgrößte Gefährdung für die biologische Vielfalt, übertroffen nur durch die Gefahr der Zerstörung der natürlichen Lebensräume.

Eine unmittelbare Folge der Ausbreitung invasiver Arten besteht darin, dass die neuen Arten in Konkurrenz mit einheimischen Arten treten. Sie können andere Arten verdrängen, weil sie ebenfalls Lebensraum und Ressourcen beanspruchen. Ein Beispiel ist der Staudenknöterich, der vor allem an Ufern von Flüssen und Bächen wächst, aber auch auf Brachflächen in Siedlungsgebieten. Er wächst so stark und dicht, dass er andere Pflanzen weitgehend verdrängt. Seine Wurzeln können zum Beispiel Uferbefestigungen beschädigen.

Invasive Arten können auch als Fressfeind einheimische Arten gefährden. Zum Beispiel bedroht die invasive Bisamratte die Bestände der einheimischen Bachmuschel. Der nordamerikanische Waschbär gefährdet als Raubtier nicht nur viele Brutvögel und Amphibien, sondern frisst auch die vom Aussterben bedrohte Europäische Sumpfschildkröte und gräbt deren Eier aus.

Invasive Arten verändern unter Umständen den Genpool. Sie können sich mit einheimischen Arten kreuzen. Das führt zu einem Verlust einzelner Gene und somit der genetischen Vielfalt. Es kommt zu einer schleichenden Veränderung der Art, bei der schließlich die einheimische Art mehr oder weniger durch sogenannte hybride Formen ersetzt wird.  Ein Beispiel ist die Kreuzung der europäischen Weißkopfruderente mit der nordamerikanischen Schwarzkopfruderente.

Auch Krankheiten und Parasiten können durch invasive Arten übertragen werden. Zum Beispiel übertragen die invasiven amerikanischen Flusskrebse eine Infektionskrankheit, die für einheimische Flusskrebsarten tödlich ist. Die amerikanischen Flusskrebse selbst sind dagegen immun. Der mit Waschbären eingeschleppte Spulwurm ist auch für Menschen gefährlich.

Gebietsfremde Arten können ganze Ökosysteme verändern, zum Beispiel den Nährstoffgehalt von Böden. So wächst die invasive Robinie auf Halbtrockenrasen und reichert dort den Boden mit Stickstoff an. Das begünstigt das Wachstum von Pflanzen, die normalerweise dort weniger gut wachsen und die wiederum Arten verdrängen, die für Halbtrockenrasen typisch sind.

Was ist der richtige Umgang mit invasiven Arten?

Den Rahmen für den Umgang mit invasiven Arten bilden verschiedene rechtliche Regelungen auf europäischer und nationaler Ebene sowie internationale Verträge. So schreibt das internationale Abkommen über die Biologische Vielfalt (CBD) völkerrechtlich verbindlich vor, dass Vorsorge, Kontrolle und Bekämpfung invasiver Arten Ziel des Naturschutzes sind.

Innerhalb der Europäischen Union gilt seit 1. Januar 2015 die Verordnung über die Prävention und das Management invasiver gebietsfremder Arten. Im Mittelpunkt der Verordnung steht eine Liste von gebietsfremden invasiven Arten, die für die gesamte EU von Bedeutung für den Naturschutz sind. Sie wird auch als "Unionsliste" bezeichnet. Die erste Liste mit 37 Arten wurde im Juli 2016 veröffentlicht und ist im August 2016 in Kraft getreten.

Die Verordnung legt fest, wie mit diesen Arten zukünftig umgegangen werden soll. Zu den Maßnahmen gehören Prävention (zum Beispiel Besitz-, Vermarktungs- und Freisetzungsverbote), Früherkennung und sofortige Beseitigung in Gebieten, wo die jeweilige Art sich bisher nicht in freier Natur etablieren konnte. Außerdem gehört dazu das Management für bereits weit verbreitete Arten, um zumindest die negativen Auswirkungen zu minimieren. Zukünftig sollen weitere invasive Arten in die Unionsliste aufgenommen werden.

Darüber hinaus gibt es in nationalen Gesetzen wie dem Bundesnaturschutzgesetz, der Bundesartenschutzverordnung oder dem Pflanzenschutzgesetz Regelungen zu gebietsfremden Arten.

"Akzeptieren oder ausrotten?"

Die meisten in Deutschland vorkommenden gebietsfremden Arten haben sich in die hiesigen Ökosysteme integriert, ohne dass nachteilige ökologische Auswirkungen erkennbar sind. Daher können sie laut dem Bundesamt für Naturschutz als ein Bestandteil dieser Systeme akzeptiert werden. Dies gilt vor allem für die seit Jahrhunderten etablierten Archäobiota.

Viele problematische gebietsfremde Arten sind laut dem Bundesamt für Naturschutz zudem nicht mehr ausrottbar, da sie sich schon weit ausgebreitet haben. Daher sollten sie nur in begründeten Einzelfällen bekämpft werden, wie es auch die EU-Verordnung über invasive Arten für diese Fälle vorsieht. Zu den möglichen Gründen für eine Bekämpfung zählt zum Beispiel, dass seltene oder gefährdete Arten oder Lebensräume bedroht sind oder die menschliche Gesundheit gefährdet wird. Gegen Eingriffe spricht, dass diese meist mit großem Aufwand verbunden sind und eine Kosten-Nutzen-Abwägung erfolgen sollte. Außerdem können auch die Bekämpfungsmaßnahmen Schäden anrichten. 

Neben der Beseitigung geht es beim Umgang mit invasiven Arten vor allem um die Vorsorge und die Früherkennung. So werden die meisten gebietsfremden Arten unbedacht in eine neue Umgebung eingebracht. Dagegen können Privatleute einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie zum Beispiel Gartenabfälle invasiver Arten oder invasive Aquarienpflanzen in der Biotonne entsorgen, statt illegal in der freien Natur. In der Land- und Forstwirtschaft sollten nach Möglichkeit einheimische Arten genutzt werden. Die Verschleppung von Samen oder Pflanzenteilen gebietsfremder Arten sollte möglichst verhindert werden.

Wesentliche Grundlage für den Schutz der biologischen Vielfalt ist eine gut funktionierende Umweltüberwachung, die auch die Bestände gebietsfremder Arten mit umfasst. Dabei kommt es insbesondere auf eine effektive Früherkennung neuer invasiver Arten an. Hier gilt es schnell zu handeln, um eine Etablierung und nachfolgende Ausbreitung zu verhindern. Denn die Erfahrungen zeigen, dass die Eindämmung von Gefahren durch invasive Arten immer schwieriger und teurer wird, je länger der Ausbreitung kein Einhalt geboten wird.

Weiterführende Links

Bundesamt für Naturschutz: Gebietsfremde Arten (Überblick)
https://www.bfn.de/0302_neobiota.html

Bundesamt für Naturschutz: Informationsportal Neobiota
http://neobiota.bfn.de/

EU-Kommission: Informationsbroschüre und Liste mit 37 invasiven Arten (Broschüre: siehe Link zur PDF-Datei)
https://ec.europa.eu/germany/news/invasive-arten-kommission-verabschiedet-eu-liste-mit-37-arten_en

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