Nachhaltige Stadtentwicklung
Im Jahr 2009 hat das Internationale Olympische Komitee entschieden, dass Rio de Janeiro Gastgeber der Olympischen Spiele 2016 sein wird. In den nachfolgenden Jahren sorgten die Vorbereitungen in der Stadt für Kritik. Bei der Auseinandersetzung geht es um den großen finanziellen und logistischen Aufwand, der für die Spiele betrieben wird und die langfristigen Folgen für die Stadt. Unter anderem werden Sportstätten neugebaut, renoviert oder erweitert und der öffentliche Nahverkehr wird ausgebaut.
Befürworter sehen darin eine Chance für die Entwicklung der gesamten Stadt. Die Spiele würden eine Vielzahl von Verbesserungen in der Stadt bringen und seien eine treibende Kraft für die nachhaltige Transformation, heißt es in offiziellen Dokumenten wie dem Sustainability Management Plan. Auf der anderen Seite warnen Kritiker und Kritikerinnen, dass bei den Bauprojekten anlässlich der Spiele die Interessen der Einwohnerinnen und Einwohner vernachlässigt würden und zu einem großen Teil nicht der ärmeren Bevölkerung zugutekämen, die den dringendsten Bedarf an Verbesserungen hätte. So berichteten Medien zum Beispiel, dass zehntausende Menschen wegen der Infrastrukturprojekte umgesiedelt worden seien, viele unter Zwang. Arme Viertel seien abgerissen worden, um Immobilienspekulationen zu ermöglichen.
Kontroversen um Großprojekte in der Stadt
Die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro sind nur eines von zahlreichen Beispielen für Stadtentwicklungsprojekte, die Kontroversen auslösen. Sie sind ein spezielles Beispiel, da die Dimensionen der Bauprojekte besonders groß sind. Zudem geht es um ein Event, das international beachtet wird. Dementsprechend findet auch die Diskussion darüber sowohl innerhalb als auch außerhalb Brasiliens Beachtung. In den vergangenen Jahren wurde die Planung und Durchführung von Sportgroßveranstaltungen immer häufiger kritisch hinterfragt und mehr Nachhaltigkeit eingefordert.
Auch bei den Olympischen Spielen in London 2012 gab es Diskussionen über die Folgen der Baumaßnahmen für die Stadt. Dabei hatten die Organisatoren betont, in London die "nachhaltigsten Olympischen Spiele aller Zeiten" umzusetzen. Das Nachhaltigkeitskonzept war im Jahr 2005 einer der Hauptgründe dafür, die Olympischen Spiele an London zu vergeben. So sollten im Londoner East End, einer der strukturschwächsten Regionen Großbritanniens, dauerhaft neue Arbeitsplätze entstehen. Insgesamt sollte die Attraktivität des östlichen Londoner Stadtteils Stratford steigen. Veranstaltungsorte sollten nach den Spielen so umgebaut werden, dass sie den Bedürfnissen der Einwohner und Einwohnerinnen besser gerecht werden. Einige Jahre nach den Spielen fallen die Bewertungen unterschiedlich aus. Tatsächlich wurden durch die Baumaßnahmen Teile des East Ends aufgewertet. Umstritten ist teilweise, ob die Höhe der Investitionen angesichts der Ergebnisse gerechtfertigt war. Zudem wird teilweise kritisiert, dass diese Verbesserungen weniger den ärmeren Bevölkerungsgruppen des Stadtteils zugute kommen, sondern eher zu steigenden Mieten führen.
Trotz der Bemühungen der Veranstalter sorgen Olympia-Projekte auch in anderen Städten für Skepsis. In Hamburg stimmte 2015 die Mehrheit der Wahlberechtigten gegen eine Bewerbung der Stadt für Olympia 2024. Auch in München hatten die Bürgerinnen und Bürger in einem Referendum eine Olympia-Bewerbung für die Winterspiele 2022 abgelehnt.
Ähnliche Kontroversen finden sich auch bei Stadtentwicklungsprojekten mit kleineren Dimensionen. Ein Beispiel ist die sogenannte HafenCity in Hamburg. Hier entsteht auf einem ehemaligen Hafen- und Industriegelände unter anderem Wohnraum für voraussichtlich 12.000 Menschen. Die Fläche der Innenstadt wächst um rund 40 Prozent. Während die einen eine Chance darin sehen, dass in der Innenstadt mehr Raum zum Wohnen und Arbeiten entsteht, befürchten die anderen, dass sich durch die überwiegend luxuriösen Wohnungen am Hafen soziale Gegensätze in der Stadt verstärken.
Gegensätzliche Vorstellungen von der Entwicklung der Stadt zeigen sich auch in Berlin: in der Diskussion über das Tempelhofer Feld. Durch die Schließung des Stadtflughafens Tempelhof wurde eine große Fläche frei. Die Ideen für die Nutzung reichen von der Bebauung bis hin zur Schaffung eines Parks. In einem Volksentscheid stimmte 2014 eine deutliche Mehrheit gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes.
Wir leben im Zeitalter der Städte
Wie sich Städte in Zukunft entwickeln, hat eine große Bedeutung über die jeweilige Stadt hinaus. Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen der Welt werden sich überwiegend in Städten abspielen. In Deutschland leben heute drei Viertel der Menschen in Städten, im weltweiten Durchschnitt sind es mehr als 50 Prozent. Und der Anteil der Stadtbevölkerung weltweit wächst.
Großstädte und Ballungsräume verbrauchen viele Ressourcen, auch die des Umlandes, und belasten so Umwelt und Natur. In Städten entsteht der größte Teil der Treibhausgase. Gleichzeitig leiden viele Menschen in den Städten an schlechten Umweltbedingungen wie Lärm und Luftverschmutzung. Städte müssen sich verändern, um die grundlegenden Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen: den Klimawandel, knapper werdende Ressourcen und den Verlust natürlicher Lebensgrundlagen.
Städte sind jedoch auch Zentren, in denen besonders viele neue Ideen und technische Entwicklungen entstehen. Zum Beispiel werden dort Möglichkeiten erprobt, Ressourcen und Energie effizienter zu nutzen.
Nachhaltige Stadtentwicklung bedeutet, dass bei allen Veränderungen die Stadt als Ganzes betrachtet werden muss. Es muss geprüft werden, ob Entscheidungen zukunftsfähig sind. Dabei müssen alle Dimensionen der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden – diese umfassen Wirtschaft, Soziales sowie Kultur und Umwelt. Somit hat nachhaltige Stadtentwicklung eine Vielzahl von Facetten und Handlungsfeldern. Neben dem Bau neuer Gebäude oder der Gestaltung von Wirtschaftsstandorten gehören dazu unter anderem Fortbewegungsangebote, die stadt- und umweltverträglich, aber auch sozial gerecht sind.
Viele Interessen auf engem Raum
Veränderungen im Stadtbild zu bewirken, ist besonders komplex. Denn in der Stadtentwicklung treffen stets die Interessen verschiedener Gruppen aufeinander. Neben Verwaltung und Politik spielen private Bauherren, Investoren, Banken sowie die Nachfrage – also die künftigen Nutzerinnen und Nutzer – entscheidende Rollen. Die Gruppen nehmen die Entwicklung jeweils anders wahr und können sie mehr oder weniger stark beeinflussen. Eine Steuerung der Stadtentwicklung durch die Kommunen hat vor allem die Aufgabe, zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln und Lösungen zu finden, die im Sinne des Gemeinwohls sind. Bei den Lösungen handelt es sich oft um Kompromisse.
Dabei haben die meisten Städte wenig finanziellen Handlungsspielraum, auch in Deutschland. Der Städtetag weist darauf hin, dass auf der einen Seite seit einigen Jahren in den meisten Städten die Steuereinnahmen sinken, auf der anderen Seite die Sozial- und andere Ausgaben steigen. Gleichzeitig stehen die Städte im Wettbewerb miteinander. Sie konkurrieren unter anderem um Unternehmen, Fachkräfte und Familien.
Wie kann nachhaltige Stadtentwicklung funktionieren?
Dennoch gibt es weltweit, in Europa und in Deutschland eine Vielzahl von Konzepten und praktischen Ansätzen der nachhaltigen Stadtentwicklung. In einer vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebenen Studie wird eine Vision von Städten formuliert, die durch lokale Kreisläufe geprägt ist: Produkte werden wiederverwertet, Materialien recycelt, Abwasser wird aufbereitet, leerstehende Gebäude werden wiederbelebt und Energie wird lokal und durch erneuerbare Quellen oder Abfälle gewonnen.
Viele Nachhaltigkeitsprojekte betreffen außerdem den Verkehr. Nachhaltige Mobilitätskonzepte sind vor allem darauf ausgerichtet, den sogenannten motorisierten Individualverkehr (MIV) so gering wie möglich zu halten. Sie zielen darauf, attraktive Alternativen zu schaffen. Dazu sollen verschiedene Fortbewegungsformen besser aufeinander abgestimmt werden und es den Nutzern und Nutzerinnen erleichtern, diese zu kombinieren, zum Beispiel auf den täglichen Wegen zwischen Fuß- und Fahrradwegen, öffentlichem Nahverkehr und einer kürzeren Strecke mit dem Auto zu wechseln.
Für den motorisierten Verkehr werden dafür vorrangig umweltfreundliche Fahrzeuge eingesetzt, zum Beispiel Elektro- und Hybridfahrzeuge, die aus erneuerbaren Energien gespeist werden. So wird in Berlin bereits eine Flotte von Elektroautos und -fahrrädern betrieben und in den öffentlichen Verkehr integriert, unter anderem durch einen gemeinsamen Fahrschein für verschiedene Verkehrsmittel (Mobilitätskarte). Gleichzeitig haben sich in vielen Städten Carsharing-Modelle etabliert, bei denen Autos über die ganze Stadt verteilt von unterschiedlichen Nutzern und Nutzerinnen kurzfristig gemietet werden können.
Städtebau und Bürgerbeteiligung
Die Planung der Stadtentwicklung ist in Deutschland Aufgabe der Kommunen. Soweit es um das eigentliche Bauen in der Stadt geht, ist der Rahmen dafür im sogenannten Städtebaurecht geregelt, einem Teilgebiet des öffentlichen Baurechts.
Die rechtlichen Vorgaben sehen ausdrücklich vor, verschiedene Interessen in die Planungsprozesse einzubeziehen. Bei der Bauleitplanung schreibt das Baugesetzbuch eine "frühzeitige" Bürgerbeteiligung vor. In der Praxis gibt es heute eine Vielzahl von Formen des Dialogs über Planungsprozesse. Ein aktuelles Beispiel ist die sogenannte Parkstadt Süd in Köln, die zurzeit geplant wird (2016). Dort wird durch den Wegzug eines Großmarktes eine große Fläche im Stadtgebiet frei, mehrere tausend Wohnungen sollen entstehen. Die Stadt versucht, in einem sogenannten kooperativen Verfahren möglichst viele Akteure und die Öffentlichkeit einzubinden. Dabei wurden zunächst Ideen gesammelt und Ziele formuliert, bevor Planungsteams auf dieser Grundlage verschiedene Entwürfe präsentierten.
Wie Veränderungen in der Stadt jedoch tatsächlich ablaufen, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Dabei spielen neben staatlichen Institutionen und der Stadtplanung durch die Kommunen auch die Wirtschaft, zivilgesellschaftliche Organisationen und nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger wichtige Rollen.
Stadtentwicklung ist ein Gemeinschaftswerk, so die Initiative Nationale Stadtentwicklungspolitik, die von Bund, Ländern und Gemeinden getragen wird. Demnach macht die Summe der vielen großen und kleinen Entscheidungen über sehr lange Zeiträume eine Stadt aus. Große Entscheidungen zum Beispiel über Bauprojekte wie Bahnhöfe und Hochhäuser gehören dazu, aber auch kleine Entscheidungen der Einwohnerinnen und Einwohner. Ob es darum geht, mit dem Auto links abzubiegen oder im Bioladen statt im Discounter einzukaufen: auch das alltägliche Verhalten der Menschen prägt das Gefüge der Stadt.
Weiterführende Links
Bundesumweltministerium: Nationale Stadtentwicklungspolitik
www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de
Umweltbundesamt (2013): Szenarien für eine integrierte Nachhaltigkeitspolitik – am Beispiel: Die nachhaltige Stadt 2030
www.umweltbundesamt.de/publikationen/szenarien-fuer-eine-integrierte
Bundesinnenministerium: Stadtentwicklungsbericht 2020 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2021/04/stadtentwicklungsbericht-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=1
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Freiraum-Fibel. Starthilfe für eigene Projekte und Aktionen um Stadtraum.
http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/Sonderveroeffentlichungen/2016/freiraum-fibel.html
Deutscher Olympischer Sportbund: Internetportal "Green Champions 2.0" für eine nachhaltige Gestaltung von Sportveranstaltungen
www.green-champions.de
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