Die Stadt als Beet
Viele Städte in Deutschland verzeichnen steigende Bevölkerungszahlen. Insbesondere die größten Städte in Deutschland wachsen: Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf. Zwischen 2000 und 2014 hat zum Beispiel München rund 18 Prozent an Bevölkerung hinzugewonnen, Köln 8,7 und Berlin 2,6 Prozent. Aber auch viele deutsche Städte mit Einwohnerzahlen zwischen 100.000 und 500.000 gewinnen an Bevölkerung. Zwischen 2005 und 2014 waren es durchschnittlich fünf Prozent.
Doch die Entwicklung der Bevölkerungszahlen unterscheidet sich von Stadt zu Stadt. Zwei Drittel aller Großstädte und rund ein Viertel der Klein- und Mittelstädte verzeichnen ein Wachstum. Gleichzeitig gibt es Städte mit stagnierenden oder schrumpfenden Einwohnerzahlen.
Das betrifft weniger die Großstädte, die sich seit über zehn Jahren einer neuen Attraktivität erfreuen. Voraussichtlich werden 2030 in den 14 deutschen Großstädten ab 500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern 19 Prozent aller Bundesbürgerinnen und -bürger leben. Damit verbunden ist eine wachsende Siedlungsdichte. Diese hat zum Beispiel in München zwischen 2000 bis 2014 um 15 Prozent zugenommen, in Frankfurt am Main um über sechs Prozent und in Stuttgart sowie Berlin um über drei Prozent.
Flächennutzung schafft Interessenskonflikte
Das Wachstum bedeutet, dass Brachen und Grünflächen in zusätzliche Wohn- und Gewerbegebäude sowie Verkehrswege umgewandelt werden. Auch für Schulen oder Schwimmbäder braucht es Flächen. Vor allem in den Innenstadtbereichen kommt es zur sogenannten Nachverdichtung. Hier ergeben sich Nutzungs- und Zielkonflikte für die Städte und Gemeinden. Freiraum wird zu einem knappen Gut.
Zugleich wünschen sich Stadtbewohnerinnen und -bewohner aller sozialen Schichten Grünräume in direkter Nähe ihrer Wohnungen und Arbeitsstätten. Die Wertschätzung von Grünflächen ist in der Bevölkerung gestiegen. Hierzu gehört auch, dass sich nicht nur in Deutschland, sondern auch international eine neue Begeisterung für das Gärtnern in der Stadt unter dem Stichwort "Urban Gardening" entwickelt.
Stadtgrün und seine Funktionen
Private Gärten, Kleingärten und landwirtschaftliche Nutzflächen sind ein wesentlicher Teil des Stadtgrüns. Der Begriff Stadtgrün umfasst ganz verschiedene Freiräume, die zur Gliederung und Gestaltung der Stadt entwickelt, erhalten und gepflegt werden. Weitere Beispiele dafür sind Parkanlagen, Friedhöfe, Brachflächen, Spielplätze, Sportflächen, Straßengrün und Straßenbäume, Naturschutzflächen oder Stadtwälder. Auch das Bauwerksgrün mit Fassaden- und Dachgrün, Innenraumbegrünung sowie Pflanzen an und auf Infrastruktureinrichtungen gehören dazu. Alle diese Formen des städtischen Grüns werden auch als "grüne Infrastruktur" bezeichnet, da sie – vergleichbar mit der "grauen Infrastruktur" – zahlreiche wirtschaftliche, soziale und ökologische Leistungen erbringen. Mit "grau" wird die technische Infrastruktur bezeichnet, dazu gehören Straßen und Schienen, Kanäle und Hochspannungsleitungen, aber auch menschliche Siedlungen.
Diese "grüne Infrastruktur" übernimmt verschiedene Funktionen. Hierzu bietet der Hintergrundtext "Was Stadtnatur für Mensch, Umwelt und Klima leistet" vertiefende Informationen. Zum Beispiel verbessert Stadtgrün die Luftqualität und das Stadtklima und leistet somit einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz.
Zugleich erfüllt Stadtgrün wichtige soziale Funktionen. Frei- und Grünflächen sind elementar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dort treffen sich Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen und -schichten. Stadtgrün bietet wichtige soziale Orte der Begegnung und gesellschaftlichen Teilhabe.
Gemeinschaftliches Gärtnern boomt
Solche sozialen Funktionen erfüllt auch das Konzept des "Urban Gardening". In Deutschland sind durch Urban-Gardening-Initiativen innerhalb der vergangenen Jahre rund 400 Gemeinschaftsgärten entstanden. Sie leisten auch eine wichtige Funktion für den Umwelt- und Klimaschutz.
Seine Anfänge hat das Urban Gardening in den USA. Dort begann man in den 1970er-Jahren, brachliegende Flächen als "Community Gardens" (Gemeinschaftsgärten) zu nutzen. Ziel war es dabei, den Menschen, die kein Land besaßen, die Möglichkeit zum Gärtnern zu geben. Bereits 1979 gründete sich die "American Community Gardening Association" als Dachorganisation der Gemeinschaftsgärten. Vor allem in der Metropole New York haben die "Community Gardens" eine lange Tradition. Der Grund und Boden gehört zumeist der Stadt, betreut wird er von Bürgergemeinschaften. Die Gärten finden sich in Hinterhöfen, auf ehemaligen Parkplätzen oder auch an Schulen.
Auch in Deutschland spielt Urban Gardening mittlerweile eine wichtige Rolle. Zugleich ist das Gärtnern in der Stadt nicht neu. Neben privaten Gärten nutzen rund fünf Millionen Menschen Kleingärten. Es gibt rund eine Million Kleingärten, die sich in etwa 15.000 Vereinen organisieren und eine Gesamtfläche von rund 46.000 Hektar nutzen.
Im Rahmen von Urban-Gardening-Projekten wird besonders Wert darauf gelegt, das soziale, oft auch interkulturelle Miteinander zu fördern und einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz zu leisten. So wird zumeist eine große Fläche gemeinschaftlich bestellt und nicht in einzelne Parzellen unterteilt. Darüber hinaus werden die Flächen überwiegend ökologisch bestellt. Künstliche Dünge- und Pflanzenschutzmittel werden meist gezielt vermieden. Auch der Anbau von saisonalem Gemüse und Obst spielt eine wichtige Rolle beim Gärtnern in der Stadt.
Der "Prinzessinnengarten" in Berlin-Kreuzberg ist eines der bekanntesten Urban-Gardening-Projekte in Deutschland. 2009 begannen einige überzeugte Stadtgärtnerinnen und Stadtgärtner in enger Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft, eine Brachfläche von 6.000 Quadratmetern zu bewirtschaften. Gegärtnert wird dort in Hochbeeten aus Stapelbehältern wie zum Beispiel in recycelten Bäckerkisten oder in Reissäcken. Das ist sinnvoll, wenn sich der Garten meist auf Flächen befindet, die versiegelt oder kontaminiert sind. Ein "mobiler Garten" ist auch wichtig, wenn Flächen nur temporär genutzt werden können. Auch beim Prinzessinnengarten ist der Nutzungshorizont unklar. Das Gelände gehört der Stadt und wird jeweils für die Dauer von einem Jahr verpachtet. Das produzierte regionale und saisonale Gemüse wird im Café des Gartens verkauft – frisch oder als Mahlzeit zubereitet. Durch die Erlöse finanziert sich der Gemeinschaftsgarten.
Vielfalt an Projekten: Urban Farming bis "Essbare Stadt"
Es gibt verschiedene Konzepte urbaner Gärten. So gärtnern in einigen Projekten ausschließlich Frauen, andere sind explizit für den interkulturellen Austausch vorgesehen. Es gibt gemeinschaftliche Dachgärten, die zum Beispiel auf Hoch- oder Parkhäusern umgesetzt werden.
Ebenso wächst die Zahl privater Imkereien im Stadtgebiet. Die Bedingungen der Stadt sind günstig für die Imkerei: Die Bienen finden ein gutes und vielfältiges Nahrungsangebot. Im Gegensatz zu ländlichen Regionen, die häufig durch Monokulturen geprägt sind. Die Bienen wiederum fördern durch das Bestäuben die Erträge der urbanen Gärten.
Neben Gärten werden in der Stadt beziehungsweise am Stadtrand auch Ackerflächen bestellt, die zumeist Landwirten gehören oder von ihnen gepachtet werden. Viele dieser Landwirte sind ökologisch ausgerichtet. Interessierte Bürgerinnen und Bürger können von ihnen Ackerparzellen von mehreren Quadratmetern von Frühling bis Herbst mieten. Zwischen den Parzellen gibt es keine Zäune. Die Landwirte züchten oftmals Gemüse und Kräuter vor, sodass die Mieter ein (teils) fertig gesätes Stück Land übernehmen und weiterpflegen.
Neben dem Urban Gardening etabliert sich auch die Idee des "Urban Farming", der städtischen Landwirtschaft. Neben dem Anbau von Obst und Gemüse zählt hierzu auch die Haltung von Nutztieren. Aber die Begriffe sind nicht klar definiert. Manche sehen im Urban Farming eine Professionalisierung, die zum Beispiel moderne Gewächshäuser auf Dächern beinhaltet. "Rooftop Farming" ist hier ein Stichwort.
Diese verschiedenen Ansätze verfolgen eine nachhaltige Stadtentwicklung "von unten". Es gibt aber auch Ideen, die von den Städten oder Gemeinden angeboten werden. Hierzu zählt zum Beispiel die Idee der "Essbaren Stadt", die immer stärker verbreitet wird und sich bereits in unterschiedlichen Städten etabliert hat. In "Essbaren Städten" werden auf öffentlichen Flächen essbare Pflanzen statt Zierpflanzen gepflanzt. Zumeist übernehmen das die Gartenbauämter, häufig sind jedoch auch die Stadtbewohnerinnen und -bewohner eingeladen, sich zu engagieren. Sie können, wenn das Obst und Gemüse reif ist, dann auch ernten. Andernach ist solch eine "Essbare Stadt".
Saisonal und regional: Ein Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz
Verbunden mit dem Gärtnern in der Stadt ist auch eine umweltschonende und gesunde Ernährung. Lebensmittel aus dem eigenen Garten in der Stadt sparen lange Transportwege sowie eine oftmals energieaufwändige Lagerung – und damit CO2-Emissionen. Hinzu kommt, dass Lebensmittel aus dem eigenen Garten eine saisonale Ernährung ermöglichen. Auch das spart Ressourcen und schont das Klima. Zugleich entfallen umfangreiche Verpackungen: Das geerntete Gemüse landet direkt in der Küche.
In den vergangenen Jahren sind den Verbraucherinnen und Verbrauchern Fragen der Herkunft, der Nachhaltigkeit und der Transportbilanz ihrer Lebensmittel zunehmend wichtiger. Produkte aus der Region signalisieren den Konsumentinnen und Konsumenten Vertrautheit, Authentizität und Qualität. Hierzu gehört auch der Wunsch vieler Menschen, wieder selbst Gemüse und Obst anzubauen und zu ernten.
Zugleich fördert das Gärtnern eine höhere Wertschätzung von Lebensmitteln. Eine lokale Landwirtschaft hat das Potenzial zur Gesundheitsförderung. Denn das Wissen und Bewusstsein über die Zubereitung und den Anbau natürlicher Nahrungsmittel tritt wieder in den Vordergrund.
Aber das urbane Gärtnern kann auch mit Risiken verbunden sein, wenn Standorte mit hohen Schadstoffkonzentrationen genutzt werden. Das betrifft beispielsweise die unmittelbare Nähe viel befahrener Straßen. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2012 des Instituts für Ökologie der Technischen Universität Berlin hat gezeigt, dass Gemüse und Obst aus der Berliner Innenstadt erheblich mit Schadstoffen angereichert sein kann. Insbesondere Schwermetalle fanden sich in Gemüse aus innerstädtischen Gärten. Jedoch verwiesen die Forscherinnen und Forscher zugleich auf eine ganzheitlichere Sicht bei der Risikobewertung von selbst angebautem Stadtgemüse. Es müssten ebenso die positiven Aspekte wie die Bewegung an der frischen Luft, eine gemeinschaftliche Naturerfahrung oder die Freude am Gärtnern berücksichtigt werden. Nicht zuletzt handelt es sich um eine einzelne Studie, die nicht ohne Weiteres auf andere Untersuchungszeiträume und andere Städte verallgemeinerbar ist.
Chancen für eine urbane Agrikultur
Das Potenzial urbaner Landwirtschaft und der Erhalt von Stadtgrün wird derzeit auf vielen Ebenen diskutiert. Um Stadtgrün zu bewahren, gibt es bereits nationale politische Rahmenbedingungen. Ziel der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist es, den Flächenverbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2020 auf unter 30 Hektar pro Tag zu verringern. Außerdem sind zum Beispiel die Verbesserung von Grünausstattung, -erreichbarkeit und -pflege in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt formuliert. Dazu gehört zum Beispiel, dass bis 2020 die Durchgrünung der Siedlungen – einschließlich von Hofgrün oder auch Dach- und Fassadengrün – deutlich erhöht wird. Auch soll die Anzahl von Regionalparks und Freiraumverbünden im Umfeld von großen Städten deutlich erhöht werden. Zur weiteren Umsetzung der Nationalen Strategie wurde im Oktober 2015 die "Naturschutz-Offensive 2020" gestartet. Zu den 40 vordringlichen Maßnahmen, die bis 2020 umzusetzen sind, gehört auch das Grün in der Stadt. In der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS) von 2008 und dem dazugehörigen Aktionsplan (APA I 2011) wird städtisches Grün als Instrument zur Minderung von Extremwitterungen wie Starkregen und Hitze angesprochen. Ebenso ist die Leipzig Charta zu nennen, die eine gemeinsame Grundlage der integrierten Stadtentwicklung bietet.
Neben der Politik ist das Engagement der Bürgerinnen und Bürgern gefragt. Dabei sollte es ihnen nicht allein um die Sicherung "ihres" Gartens gehen, sondern darum, städtische Freiräume für soziales und ökologisches Engagement zu schaffen und/oder zu erhalten.
Auch neue Ideen und Konzepte sind gefragt. Angesichts der Flächenkonkurrenz ist auch eine gebäudegebundene beziehungsweise bodenunabhängige Produktion von Lebensmitteln sinnvoll. Überlegungen reichen von geschlossenen Innenraumsystemen über Gewächshäuser an und auf Gebäuden bis hin zu großflächigen landwirtschaftlichen Dachflächengestaltungen. Dachgärten, auch "Rooftop Farms" genannt, nehmen gerade in New York seit einigen Jahren stetig zu. Dabei stehen auch dort oft soziale, und nicht wirtschaftliche, Aspekte im Vordergrund.
Weiterführende Links zum Thema:
Bundesumweltministerium: Grün in der Stadt – Für eine lebenswerte Zukunft. Grünbuch Stadt
http://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/gruenbuch_stadtgruen_broschuere_bf.pdf
Naturkapital Deutschland – TEEB DE (The Economics of Ecosystems and Biodiversity; Die Ökonomie der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt): Ökosystemleistungen in der Stadt
http://www.naturkapital-teeb.de/fileadmin/Downloads/Projekteigene_Publikationen/TEEB_Broschueren/TEEB_DE_Stadtbericht_Langfassung.pdf
Bundesregierung: Stadtentwicklungsbericht 2016
http://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nationale_Stadtentwicklung/stadtentwicklungsbericht_breg_2016_bf.pdf
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